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Was ist neu an der Mensch-Maschine-Interaktion? Zum Stand gegenwärtiger Mensch-Maschine-Interaktion (auf deutsch)

Moderation: Sebastian Schleidgen (Hagen/München)

13:00–13:40 Uhr
Gabriele Gramelsberger (Aachen): Maschinenrationale Sozialität. Kritik der in maschinelle Lernverfahren eingeschriebenen Sozialität 

Das Besondere an maschinellen Lernverfahren im Unterschied zu anderen algorithmischen Strukturen ist, dass ihnen eine spezifische Sozialität eingeschrieben ist. Diese reduzierte Form der Sozialität zeigt sich bereits in Alan Turings Essay Computing Machinery and Intelligence von 1950, wenn Turing postuliert, dass Maschinen Intelligenz haben können, obwohl die Turingtafeln menschlicher Maschinen unbekannt sind. 

Turings Postulat basiert auf dem folgenschweren Umkehrschluss, dass auch für die absichtsvolle Motivation von Menschen gelte, „that being regulated by laws of behaviour implies being some sort of machine“. Turing behauptet nun weiter, dass die absichtsvolle Motivation der Auswahl und des Einsatzes von Regeln auch als Lernen verstanden werden könne und es vor allem um die Exteriorisierung von Lernmechanismen ginge. Dabei hat er die klassischen, behavioristischen Lernstrategien in Form negativer und positiver Verstärkung im Sinn, die er für das Lernen in „child machines“ reklamiert. Der Beitrag geht dieser Entwicklungslinie nach, die heute im sogenannten Reinforcement Learning zum Einsatz kommt und die es in ihrer maschinenrationalen Sozialität ML-Algorithmen ermöglicht, sich mittlerweile selbst trainieren zu können.

Gabriele Gramelsberger promovierte 2001 in Philosophie an der Freien Universität Berlin, wo sie bis 2014 lehrte. 2015 habilitierte sie in Philosophie am Fachbereich Gesellschafts- und Geschichtswissenschaften der Technischen Universität Darmstadt. Seit 2017 hat sie den Lehrstuhl für Wissenschaftstheorie und Technikphilosophie an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen inne, davor war sie Professorin für die Philosophie digitaler Medien an der Universität Witten/Herdecke. Sie leitete zahlreiche Forschungsprojekte, darunter das BMBF-Verbundprojekt „Lebendige Algorithmen & Zelluläre Maschinen“ (2009 bis 2012), war Gastwissenschaftlerin am MaxPlanck-Institut für Meteorologie in Hamburg (2008) sowie Fellow am DFG-Forscherkolleg „Medienkulturen der Computersimulation“ der Leuphana Universität Lüneburg (2014 bis 2016) und am Internationalen Kolleg für Kulturtechnikforschung und Medienphilosophie der Bauhaus Universität Weimar (2015). Seit 2018 ist sie Mitglied der Allianz-Initiative „Digitale Information“ und seit 2019 ordentliches Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

13:40–14:20 Uhr
Manfred Hild (Berlin): Über die haptische Interaktion mit selbstreferenziellen Maschinen

Bricht man mit der allgemein vorherrschenden Auffassung, dass autonome Roboter mit separaten Sensoren und Aktuatoren ausgestattet sein müssen, die alle mit einem zentralen digitalen Prozessor verbunden sind, und setzt stattdessen spezielle lokale sensomotorische Schleifen, sogenannte „Cognitive Sensorimotor Loops“ (CSLs) ein, dann treten plötzlich erstaunlich reichhaltige und vielseitige Verhaltensweisen zutage. Diese entfalten sich durch die enge Kopplung zwischen Körper und Umwelt und insbesondere durch die haptische Interaktion mit dem Menschen.

Wie sich herausstellt, benötigen CSLs keinen digitalen Prozessor, sondern lassen sich über einfache analoge Schaltungen realisieren. Dadurch eröffnet sich auf natürliche Weise die Möglichkeit, neuartige synapsenähnliche Bauelemente (sog. Memristoren) einzusetzen – sowohl zur Implementierung adaptiver Prozesse (Bewegungsoptimierung), als auch zur Speicherung impliziter Modelle während der Selbstexploration des Körpers.

Manfred Hild studierte Mathematik und Psychologie an der Universität Konstanz und war danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fraunhofer Institut für Autonome Intelligente Systeme (AIS) in Sankt Augustin tätig sowie in der LFG Künstliche Intelligenz an der Humboldt-Universität zu Berlin, wo er 2007 im Bereich Autonome Robotik promovierte und das Forschungslabor Neurorobotik (NRL) etablierte, welches er bis heute leitet. Nach einem mehrjährigen Aufenthalt als Gastforscher im SONY Computer Science Lab in Paris wurde er 2014 zum Professor für Digitale Systeme an der Beuth Hochschule für Technik Berlin berufen, wo er 2018 den Studiengang Humanoide Robotik ins Leben rief, den er bis heute vertritt und weiterentwickelt.
Sein wissenschaftliches Interesse gilt der Dynamik rekurrenter neuronaler Netze, der humanoiden Robotik mit den Schwerpunkten Sensomotorik und audio-visuelle Wahrnehmung sowie autonome Lernverfahren zur Selbstexploration. Weitere Interessensgebiete sind Computermusik und analoge Schaltungstechnik, digitale Signalverarbeitung sowie FPGA-Anwendungen.

14:20–15:00 Uhr
Christopher Coenen (Karlsruhe): Die Digitalisierung des Taylorismus. Von der Alterität zum Embodiment und zurück? 

Der Beitrag ist ein Versuch, Elemente des postphänomenologischen Ansatzes Don Ihdes für eine vergleichende Analyse historischer und digitaler Taylorismen zu nutzen. Die Annahme ist dabei, dass sein Ansatz unter anderem einer umfassenderen Ausweitung auf kollektives Handeln und interpersonale Beziehungen bedarf.

Dipl.-Pol. Christopher Coenen ist Leiter der Forschungsgruppe „Gesundheit und Technisierung des Lebens“ am Institut für Technikfolgeabschätzungen und Systemanalyse (ITAS) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und Experte für das Thema Human Enhancement sowie leitender Herausgeber der Zeitschrift  NanoEthics: Studies of New and Emerging Technologies

Aktuelle Projekte: „Soziotechnische Zukünfte als sozioepistemische Praktiken. Eine Analysematrix für die Technikfolgenabschätzung“, „FUTUREBODY – Die Zukunft des menschlichen Körpers im Lichte neurotechnologischen Fortschritts“, „INOPRO – Intelligente Orthetik und Prothetik“