PANEL 5: DIGITALE SUBJEKTIVIERUNG UND SOZIALITÄT (auf deutsch)
Moderation: Frank Hillebrandt (Hagen)
09:30–10:10 Uhr
Thorben Mämecke (Hagen): ‚Welcome to the Machine‘.
Digitale Subjektivierung und soziotechnische Algorithmik
Der Algorithmus stellt nicht nur das Scharnier zwischen ‚Maschine‘ und Digitalisierung dar. Er fungiert auch als kulturkritisch aufgeladenes Konzept zur Beschreibung soziotechnischer Interaktionen, an dem sich Ideengeschichtlich die Aktualität gesellschaftlicher Steuerungsparadigmen ablesen lässt. Während er unter industriegesellschaftlichen Bedingungen vor allem das restriktive Arrangement sozialer Entitäten beschreibt, markiert er in seiner informationstechnischen Variante gerade die flexiblen Eigenschaften technischer und sozialer Systeme. In der Gegenwart von Industrie 4.0, IoT und Wearable Technologies bindet er nicht mehr (nur) physische Entitäten in feste und vorstrukturierte Abläufe ein, sondern schaltet sich forschend, vermittelnd und konstruierend zwischen die Entitäten, um unter den Bedingungen räumlich differenzierter, individualisierter Lebensweisen, weithin diffuser Arbeitspraxen oder des ubiquitären wie opaken Pandemiegeschehens der modernen Gesellschaft Orientierungsdaten zu sammeln und Ordnungsmuster zu generieren. Die Emergenz entsprechender Algorithmen lässt sich dabei aber keineswegs vollständig durch ökonomische Rationalisierungsthesen erfassen. In der subjektivierenden Kraft der Algorithmen spiegelt sich vielmehr immer auch das Kräfteverhältnis wider, das die Sozialität per se durchzieht.
10:10–10:50 Uhr
Eryk Noji (Hagen): Das kybernetische Subjekt. Selbstthematisierung im Self-Tracking
Der Vortrag geht der Kybernetisierung des Subjekts in der Selbstvermessung nach. Digitale Selbstvermessung wird zunächst als Verfahren verstanden, mit dessen Hilfe Anwender*innen sich im Alltag orientieren können. Im Rahmen einer „Therapie- und Beratungskultur“ (Burkart 2006) erscheint sie als eine neuartige Form der Selbstthematisierung, die kybernetische Subjekte adressiert und damit Coachingtechniken (Traue 2010, 2013) oder Glücksratgebern (Duttweiler 2007) ähnelt. Das kybernetische Subjekt ersetzt eine Substanzlogik durch eine Konstruktionslogik. Diese beiden Logiken stehen in der Selbstvermessung in einem Spannungsverhältnis, insofern einerseits das Bild eines Datenspiegels geläufig ist, der den Nutzer*innen die Wahrheit über sich selbst aufzeigt, dies andererseits aber lediglich als Startpunkt für Konstruktionen im Rahmen des Steuerungs-paradigmas dient.
10:50–11:30 Uhr
Hanna Klimpe (Hamburg): Empowerment, Educational Challenges und Rechtsextremimus. TikTok zwischen theatraler Ästhetik und Zensur durch Algorithmen
Die 2017 gestartete Kurzvideo-App TikTok stellt insofern ein Novum im Social-Media-Diskurs dar, als sie neben Telegram die erste weltweit stark genutzte Plattform ist, die nicht im Silicon Valley entwickelt wurde. Die zur chinesischen Firma Bytedance gehörende App galt zunächst als relativ unpolitische Plattform, die vor allem eine sehr junge Zielgruppe anzieht. Gleichzeitig stand die App schon früh in der Kritik, nachdem Richtlinien geleakt wurden, laut denen die Plattform Inhalte, die Kritik an der chinesischen Regierung beinhaltet, zensiert. Auch LGBTQI*-Inhalte fielen der Zensur nachweislich zum Opfer.
Gleichzeitig haben sich auf TikTok unterschiedlichste Formen von politischen Inhalten herausentwickelt. Auffällig ist hierbei, dass insbesondere junge Frauen sich kulturelle Techniken auf Social Media, wie z.B. Tanzvideos aneignen, um auf Beziehungsgewalt aufmerksam zu machen. Weltweit bekannt wurde die damals 17-jährige Feroza Aziz, als sie 2019 durch ein gefaktes Make-Up-Tutorial die Erkennungsalgorithmen von politischen Inhalten austrickste und auf die Unterdrückung der Uiguren in China hinwies. Aber auch massiv fehlgeleiteter Content wie die „Holocaust-Challenge“ oder rechtsextreme Inhalte werden auf TikTok veröffentlicht. Die Strukturen und Mechanismen politischer Inhalte der App, die so gut wie keine andere die Meme-Kultur des Internets repräsentiert, soll in diesem Vortrag diskutiert werden.
PANEL 6: SOZIALE, KULTURELLE UND ETHISCHE FOLGEN NEUER MENSCH-MASCHINE-INTERAKTION (auf deutsch)
Moderation: Johanna Seifert (Hagen/München)
12:00–12:40 Uhr
Janina Loh (Wien): Verantwortung in der Mensch-Roboter-Interaktion
In meinem Vortrag gehe ich in drei Schritten vor: Im ersten Teil umreiße ich das traditionelle Konzept der Verantwortung mit seinen fünf Relationselementen und fasse die Bedingungen zusammen, die erfüllt sein müssen, um jemanden als potenziell verantwortlich zu bezeichnen. Im zweiten Teil meines Vortrags skizziere ich die drei Arbeitsfelder der Disziplin der Roboterethik, indem ich zwischen Robotern als potenziellen moralischen Subjekten, Robotern als Objekten moralischen Handelns und inklusiven Ansätzen unterscheide. Im dritten Teil meines Vortrags schließlich werde ich das Phänomen der Verantwortung innerhalb dieser drei Felder der Roboterethik analysieren – Roboter als verantwortliche Subjekte, Roboter als Objekte verantwortlichen Handelns und Verantwortung in Bezug auf inklusivere Ansätze. Aus naheliegenden Gründen beschränkt sich die Untersuchung auf die moralische Verantwortung und schließt andere wichtige Verantwortlichkeiten wie etwa die strafrechtliche oder die politische Verantwortung aus.
12:40–13:20 Uhr
Armin Grunwald (Karlsruhe): Herr Kollege Roboter.
Von der Anthropomorphisierung der Technik und der Selbst-Technisierung der Menschen
Im Zuge des Fortschritts der KI und der Robotik entstehen neue MMI, in denen technische Systeme zusehends vermenschlicht werden. Dies lässt sich an vielfach verwendeten Sprachgebräuchen belegen. Diese Systeme werden zusehends als Gegenüber des Menschen „auf Augenhöhe“ beschrieben, so etwa, wenn für die entstehende Industrie 4.0 vom „Kollegen Roboter“ gesprochen wird. Umgekehrt zieht über die digitale Selbstmodellierung des Menschen als datenverarbeitende Maschine, sozusagen als Computer auf zwei Beinen, eine zunehmend technische Selbstbeschreibung des Menschen in Alltagssprache und Wahrnehmung ein. Im Vortrag werde ich beide Tendenzen erläutern und belegen sowie Schlussfolgerungen in ethischer und anthropologischer Hinsicht ziehen.
13:20–14:00 Uhr
Irina Gradinari (Hagen): Verkörperte Technologien.
Über den Blick der Cyborgs
Cyborgs im Film sind an der Schnittstelle der filmischen Traditionen, des kapitalistischen Betriebssystems und der digitalen Technologien (z.B. Morphing-Software) verortet, die nun so weit entwickelt wurden, dass das Genre Science Fiction eine grundsätzliche Verschiebung erfährt. Die Zukunft ist nun da: Wir leben in der Zukunft, in multimedialen und pluralen Optionen, in denen die Künstliche Intelligenz als Mensch und Menschen als Maschinen handeln. Mit der Performanz der Cyborgs als (universell gedachte) Menschen werden nicht nur unweigerlich Geschlechts-, Klassen-, Race- und Ethnizitätsmarkierungen neu verhandelt, sondern es werden heute neue Begehrensformen und politische Bedürfnisse generiert. In diesem Zusammenhang werde ich beschreiben, wie in unterschiedlichen Filmen eine solche Verschiebung stattfindet und welche politischen Applikationen für unser Selbstverständnis dies hat.